Prof. Dr. Erika Rosenberg: Das Vermächtnis von Emilie und Oskar Schindler. Zivilcourage und Menschlichkeit im Ausnahmezustand

„Die Möglichkeit, große Leistung zu vollbringen, ist in jedem von uns.“ So beschrieb Prof. Dr. Erika Rosenberg das Vermächtnis von Emilie und Oskar Schindler, die 1.200 Juden vor dem Tod bewahrten, und ermutigte zugleich jeden von uns, Zivilcourage zu zeigen, wann immer das vonnöten ist. Frau Rosenberg ist die Biografin von Emilie und Oskar Schindler – und ihre Nachlassverwalterin. Am 7. November 2022 besuchten sie und ihr Mann unsere Schule.

Eva Yang begrüßte die Gäste mit einem Klavierstück, bevor Linus Merz die Veranstaltung eröffnete. Er stellte die argentinische Wissenschaftlerin, die in Buenos Aires in Argentinien geboren wurde, vor. Ihre jüdischen Eltern waren dorthin vor den Nationalsozialisten geflohen. Nunmehr wohnt sie abwechselnd in Buenos Aires, München und in den USA, sie arbeitet als Schriftstellerin und Referentin.

Linus Merz gab ihr einige Satzanfänge vor, die sie beenden sollte. Frau Rosenberg schlug mit ihrer einer Lebendigkeit und Herzlichkeit sofort die Brücke zum Publikum. Wir erfuhren, dass sie die „beste Freundin“ Emilie Schindlers war und sie bis zu ihrem Tod in Deutschland 2001, wohin sie unbedingt zurückkehren wollte, begleitete. Sie hatte Emilie 1990 völlig verarmt und von der Welt vergessen gefunden. Emilie fasste Vertrauen und erzählte ihre Geschichte. Frau Rosenberg nahm alles auf Tonband auf und brachte Emilie Schindler dazu, ein Buch über ihre Sicht der Dinge zu schreiben.

Frau Rosenberg berichtete über Oskar und Emilie Schindlers Leben. Immer wieder kam sie auf drei Aspekte zurück: Zivilcourage, Tapferkeit und Mut. Oskar und Emilie Schindler hatten die Entscheidung getroffen, sich für 1.200 Menschen einzusetzen und sie vor dem Tod zu bewahren – und damit das Risiko einzugehen, alles zu verlieren: ihr Vermögen und ihr Leben.

Lebendig erzählte Erika Rosenberg über das Leben der Schindlers. 1907 wurde Emilie in Mähren geboren. Oskar und Emilie heirateten 1927 in Zwittau. In der Zeit von 1935 bis 1939 arbeitete Oskar für die Abwehr des Deutschen Reiches, er sollte ausländische Spione entlarven. Um die Sicht von Emilie auf diese und weitere Situationen zu illustrieren, las Erika Rosenberg Passagen aus der Biografie „Ich, Emilie Schindler“. Nach ihrem Umzug nach Krakau (1939) erwarben die Schindlers eine Emaillewaren-Fabrik, in der polnische und jüdische Zwangsarbeiter aus dem Ghetto Krakau Koch- und Essgeschirr für die Wehrmacht herstellen mussten. Dort herrschten verheerende Zustände: Hunger und Krankheiten rafften die Menschen dahin. Emilie versuchte zu helfen und das Leiden mit Medikamenten und Lebensmitteln zu lindern. 1943 wurde das Krakauer Ghetto aufgelöst, Schindler rang dem berüchtigten Lagerkommandanten Amon Göth die Genehmigung ab, seine Arbeiter auf dem Gelände seiner Fabrik in Zabłocie unterzubringen. 1944 stand das Lager Plaszow vor der Auflösung, womit die Deportation der Menschen nach Auschwitz verbunden war. In Brünnlitz (Sudetenland) kauften die Schindlers eine Fabrik, erwarben die Genehmigung des OKW, dort die Produktion fortzuführen – wofür sie „ihre“ Arbeiter brauchten. Nun entstand die berühmte Liste, die über 1.200 Menschen das Leben rettete. Das wäre fast gescheitert, denn der Transport mit 300 Frauen von Schindlers Liste geriet auf den Weg nach Auschwitz und der mit 700 Männern nach Groß-Rosen. Oskar Schindler erwirkte tatsächlich das Wunder, die Menschen freizubekommen. Für die Frauen bot er Geld.

Emilie rettete zudem 1945 das Leben von 120 jüdischen Männern, deren Transport aus einem Auschwitz-Nebenlager stammte und vor den Toren von Brünnlitz zum Stehen kam. Die Überlebenden wurden – als wichtige Arbeitskräfte deklariert – auf das Fabrikgelände gebracht und versorgt.

Nach Kriegsende zogen Schindlers mit zwanzig Juden nach München und von dort nach Regensburg, berichtete Frau Rosenberg. 1949 wanderten sie schließlich nach Argentinien aus. 1958 reiste Oskar nach Deutschland – und kam nie zurück. Er hatte Emilie verlassen. Oskar Schindler wurde 1966 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet. Emilie bekam später ebenfalls das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1967 anerkannte Yad Vashem Oskar Schindler als „Gerechter unter den Völkern“ ‒ und erweiterte diese Ehrung erst 1993 auf Emilie.

Nach seinem Tod 1974 brachten die geretteten Juden die sterblichen Überreste Oskar Schindlers nach Israel, wo er auf dem Lateinischen Friedhof auf dem Berg Zion in Jerusalem beigesetzt wurde.

Erstaunt erfuhren die Gäste während der Fragerunde, der bedeutsame und mit sieben Oscars ausgezeichnete Film „Schindlers Liste“ schließt Emilie völlig aus, allein Oskar steht im Mittelpunkt. Doch in der Realität hatte Emilie Mut und Unabhängigkeit bewiesen, ihr war die Rettung der 120 Männer im Winter 1945 zu verdanken. Steven Spielberg kam bei Frau Rosenberg nicht gut weg. Trotz alledem: Der Abend in unserer Aula und mit Frau Rosenberg war außergewöhnlich, spannend und lehrreich.

Mirjam Körnich

Wir danken der Konrad-Adenauer-Stiftung/Politisches Bildungsforum Sachsen herzlich für die Veranstaltung.

 

Fotos: D. Seichter